Grüsse aus dem Süden

Lieber Vater,

Wie geht es dir? So würde ich den Brief beginnen, wenn du noch lebtest. Ich denke manchmal an dich. Ich habe eure Todestage nicht auswendig im Kopf, aber Markus Pasche aus Uruguay (oder Paraguay?) sendet mir am 3. Mai, das ist dein Todestag, jeweils eine kurze Erinnerung in Form einer Textnachricht. Er schreibt auch am Geburtstag. Du hättest jetzt im Himmel Geburtstag, aber ich glaube es natürlich nicht. Ich bin immer ein wenig betroffen, wenn er mich daran erinnert. Ich sass damals an jenem Sonntag an deinem Bett. Gabriele war bei mir. Es war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde. Danach besuchten wir meine Cousine als Irene noch bei dir sass. Auf der Rückfahrt wurde ich angerufen, weil du gestorben warst. Das setzte bei mir alle verfügbaren Schutzmechanismen in Gang. Ich weinte nicht sehr, auch nicht am Montag, als sie dich hergerichtet hatten. Ich war ähnlich gefasst wie du, beim Tod meiner Mutter.

Ich gehe davon aus, dass du nach deinem Tod von allem, was sich dann ereignete, nichts mitbekommen hast. Wir waren uns in vielen Dingen einig. So auch, dass es keine Seele gibt, die den Körper überlebt. Du erwähntest, nicht daran zu glauben, meine Mutter einmal wiederzusehen. Wir haben uns nie an solche Träume geklammert. Damit stellt sich auch die Frage, weshalb ich diesen Brief schreibe. Du wirst ihn nicht lesen können und ich wüsste nicht, wohin ich ihn senden sollte. Ich habe mir trotzdem vorgenommen, dir zu schreiben.

2021 konnten wir wieder ins Ausland reisen. Mit Impfpässen. Covid war am Abklingen und wir waren geimpft. Der Gedanke auszuwandern, wurde immer konkreter. Wir besuchten das Département Pyrenée Orientale, Aude und Hérault. Dort wollten wir hin. Die Reise dauerte eine Woche im Juli. Es war mild, eher kühl und in der Schweiz regnete es ohne Unterlass. Die vielen Eindrücke wurden von Béziers dominiert. Die schöne Stadt ging uns nicht aus dem Kopf. Trotzdem besuchten wir im Oktober die drei bevorzugten Orte unserer Wahl nochmals, um ein Gefühl zu bekommen, ob sich dort ausserhalb der Touristensaison auch noch etwas regt. Capestang, wo wir jetzt leben, besuchten wir, um ein Haus zu besichtigen, dass zum Verkauf stand. Es war ein Volltreffer.

Wir leben seit Ende Juni 2022 hier. Unsere Tage drehen sich um den schönen Garten, um unsere Freunde und Bekannten, um ein wenig Arbeit aus der Schweiz, die noch geblieben ist. Manchmal auch um Gäste, oft um neue Restaurants und Geschäfte, diverse Partys, Freundschaftsdienste bei den Nachbarn und auch die Tätigkeit im Vorstand eines Vereins, mit dem wir Spielfilme in verschiedenen Dörfern organisieren und vorführen. Wir geniessen das meistens schöne Wetter, verfluchen die Mücken im Sommer und schwimmen im Mittelmeer. Das findet man nach 20 Minuten Fahrt mit einem grossen, feinen Sandstrand. Es hat dort einen Yachthafen. Die Wanten der Segelboote klirren und singen im Wind wie einst in der Rorenhaab in Meilen und überall am Zürichsee. Dort wo ich als Kind vor lauter Aufregung im Bug unseres Segelschiffs nicht einschlafen konnte, weil ich von meiner Angebeteten träumte, die mir am letzten Schultag vor den Sommerferien noch einen verheissungsvollen Blick zugeworfen hatte, aber ich war mir nicht ganz sicher. Sie ging mit ihren Eltern wohl ins Tessin und wurde auf dem Zeltplatz von irgendwelchen Ticinesi umworben, während ich auf dem verdammten Boot ausharrte.

Bei gebackenen Egli oder Felchen mit viel Sauce Tartar am Abend im Restaurant Schiff in Pfäffikon (Schwyz) war dann alles vergessen oder verdrängt und unsere von der Sonne erhitzten Gesichter leuchteten im Abendlicht, vermutlich auf der Wellenlänge von Infrarot. Die Mücken bekamen bei der Landung warme Füsse.

Die Comptoise-Uhr von Toni De Martin tickt auch hier ganz flott an der Wand. Sie kam einst vor langer Zeit aus der Gegend hier. Ihr habt sie dann 150 Jahre später als Antiquität in Meilen erworben und nun hängt sie hier an der Wand. Man kommt ganz schön herum, sagt sie sich wohl von Zeit zu Zeit.

Es ist schade, dass du meinen Brief nie lesen wirst.  Ich bin trotzdem froh, ihn geschrieben zu haben. Mutter schreibe ich dann auch bald einmal. Bei ihr muss ich ein wenig mehr ausholen.

Liebe Grüsse – dein Sohn


Comments

One response to “Grüsse aus dem Süden”

  1. Urs Bätschmann

    Brilliant.

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